Leitkultur is back

Worum geht es kulturpolitisch bei der kommenden
Bundestagswahl? Wird sich der globale hin zu rechten und
libertären Ideen zukünftig auch in der deutschen Kulturpolitik abbilden? 

Liest
man die Wahlprogramme der Parteien, die sich nach den aktuellen Umfragen begründete Hoffnungen auf den Einzug in den Bundestag nach der Wahl im Februar machen können, so zeigen sich erwartbare Unterschiede in
den kulturpolitischen Forderungen – aber teilweise auch erstaunliche
Geistesverwandtschaften.

Die in Wahlumfragen zugegeben derzeit unterhalb der Fünfprozenthürde befindliche, aber bis vor Kurzem noch Regierungspartei FDP verschwendet in ihrem Programm am wenigsten Platz auf Kultur – obwohl die Kultur, die von den Liberalen mit der Kreativwirtschaft
zusammengedacht wird, von ihr als einer der „wichtigsten Wirtschaftszweige
Deutschlands“ beschrieben wird. Auffallend ist die fast vollständige
Abwesenheit jeglicher Kulturkampfthesen bei den Liberalen. Eine der
Hauptforderungen: die Aufhebung der Unterscheidung von E- und U-Kultur. „Die
Popkultur ist mehr als Unterhaltung“, heißt es.

Die Grünen, die mit Claudia Roth die aktuelle
Staatsministerin für Kultur und Medien
stellen, fordern – so wie BSW, Linke und
SPD – ausdrücklich eine Beibehaltung oder sogar einen Ausbau der
Künstlersozialkasse, über die freischaffende Künstlerinnen und Publizisten sozialversichert sein können, und die immer wieder von Unternehmerverbänden und einzelnen
Politikern unter Beschuss gerät. Die Grünen wollen auch der freien Szene
helfen, allerdings mit dem Ausbau der Bundeskulturfonds. Ansonsten ist bei den Grünen viel von „Vielfalt“ die Rede, dem
Hassbegriff der Rechten. Eine hyperkonkrete Forderung im Konsensnebel des
Grünen-Programms: Man wolle prüfen, wie Urheber in Zukunft dafür vergütet
werden können, wenn KI-Systeme ihre Kunstwerke zum Training nutzen.

Ein kleiner Flirt

Zu einem kleinen Flirt kommt es beim Thema Medien
zwischen AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Allerdings benutzt das
BSW schärfere Begriffe als die AfD, die in ihrem Programm offensichtlich eine
bürgerliche Erscheinung anstrebt. „Meinung statt Maulkorb“ titelt das BSW. „Meinungskorridore“ würden den „demokratischen Diskurs“ gefährden, heißt es im
Text. Deshalb brauche es keine Erhöhung der Rundfunkgebühr, schreibt das BSW, sondern mehr
politische und kulturelle Berichterstattung und weniger Unterhaltung und Sport.
Das ist zumindest eine konkrete Forderung, und doch wieder ein deutlicher
Unterschied zur AfD, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Gebühren gleich
ganz abschaffen möchte.

Im Wahlprogramm der SPD wird die Kultur in einem Kapitel mit
dem Sport abgehandelt, dafür aber sehr ausführlich: Kreativität sei wichtig,
man wolle auch in Zeiten der künstlichen Intelligenz das Land der Dichter und
Denker bleiben, die Freiheit der Kunst bewahren. Auch „das Erbe und die
Leistung der Arbeiterklasse“ müssten an die kommenden Generationen vermittelt
werden. Auffallend in diesem Programm: Wie oft die SPD in unterschiedlichen
Formulierungen die bessere finanzielle Förderung der Kultur anmahnt. Eine
Floskel in normalen Zeiten, aber die SPD wiederholt sie so oft, als wolle sie
an dieser Stelle einen besonders dicken und festen Zaunpfahl in den Boden
rammen. Nicht nur im Land Berlin war es ja in jüngster Zeit – unter Mitwirkung
der SPD – zu harten Einsparungen im Kulturbudget gekommen.

Wie die SPD fordert auch die Linke in ihrem Programm vor
allem, dass Kunst und Kultur allen zugänglich sein sollen – und deswegen als ein
Teil der Daseinsvorsorge öffentlich gefördert werden muss. Die Künstlerinnen
und Künstler sollen Mindesthonorare verdienen.

Eine durchaus erstaunliche programmatische Nähe gibt es auf
der anderen Seite zwischen der CDU/CSU und der AfD. Union wie AfD betonen
zentral die Notwendigkeit einer sogenannten „Leitkultur“, bei der AfD zumal
eine „deutsche Leitkultur“, um sie gegen die angebliche „Multi-Kultur“ in
Stellung zu bringen. 

Der Begriff der Leitkultur geisterte in den späten
Neunzigerjahren schon einmal kurz durch das Debattenfeuilleton. Man einigte sich relativ
rasch darauf, dass Leitkultur einen starken Geruch der Überlegenheit verströme.
2000 versuchte es ein CDU-Bundestagsabgeordneter per Zeitungsinterview noch
einmal und forderte eine „deutsche Leitkultur“. Sein Name: Friedrich Merz.
Danach verschwand der Begriff bald aus der Debatte. Und Merz bald aus der
Parteispitze.

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