Die letzten Funksprüche des Towers des Washington National Airport an die Besatzung des Militärhubschraubers mit der Kennung „PAT25“ klingen routiniert und geschäftsmäßig. Dass sich hier eine Katastrophe anbahnt, ist nicht zu erahnen.
In der Nacht zum Donnerstag ist in Washington ein Passagierflugzeug mit 64 Menschen an Bord mit einem Militärhubschrauber zusammengestoßen. Die American-Airlines-Maschine des Typs Bombardier CRJ700 stürzte ins Wasser des Flusses Potomac, ebenso der Helikopter, in dem drei Personen saßen. Es wird von 67 Toten ausgegangen. Zusätzliche Brisanz erhält das Ereignis durch eine Reaktion von US-Präsident Donald Trump, der den Fluglotsen für das Unglück mitverantwortlich macht und damit eine Diskussion über den Zustand der Flugüberwachung in den USA neu entfacht.
Der für Unglücksflug AA5342 zuständige Fluglotse ist auf einem Funkmitschnitt der Flugüberwachung zu hören. „PAT25, do you have the CRJ in sight?“, fragt er da keine halbe Minute vor der Katastrophe. Aus dem Flugenglisch übersetzt heißt das so viel wie: Hubschrauberbesatzung, seht ihr den Regionaljet? Zwei Sekunden später setzt er nach: „PAT25, pass behind the CRJ!“ Hubschrauber, passiere im Heck des Regionaljets! 15 Sekunden später sind aus dem Tower entsetzte Rufe zu hören. Dann der Funkspruch des Piloten eines anderen Flugzeugs: „Tower, habt ihr das gesehen?“ Es ist der Moment, in dem Überwachungskameras einen Feuerball über dem Washingtoner Flughafen aufzeichnen.
Während die Rettungskräfte noch dabei sind, die Leichen aus dem aufgewühlten Potomac River zu bergen, laufen parallel die Ermittlungen zur Unglücksursache an. Die unvermeidlichen Spekulationen über ein terroristisches Attentat oder eine gezielte Tötung eines speziellen Passagiers an Bord von Unglücksflug AA5342, die auch nach dieser Katastrophe schnell durchs Netz geisterten, scheinen jeder faktischen Grundlage zu entbehren. Die Kollision in niedriger Höhe war allem Anschein nach ein tragisches Unglück. Die Frage ist, ob es hätte verhindert werden können, vielleicht sogar müssen. Der neue US-Verkehrsminister Sean Duffy bezeichnete die Katastrophe am Donnerstagmittag in einer Pressekonferenz jedenfalls als „vermeidbar“.
Das wahrscheinlichste Unfallszenario, das sich nach den ersten Auswertungen von Radarbildern und Funkverkehr ergibt, deutet auf eine Verkettung unglücklicher Umstände hin, in deren Mittelpunkt möglicherweise eine Fehlentscheidung der Flugüberwachung steht. Der aus Kansas kommende American-Airlines-Flug AA5342 befand sich im regulären Anflug auf Washington, als er vom Tower angewiesen wurde, abweichend auf Landebahn 33 zu landen. Der Landeanflug verläuft in niedriger Höhe über den Potomac.
Zum selben Zeitpunkt befand sich der Black-Hawk-Hubschrauber auf einem ebenfalls angemeldeten Flug entlang des Flussverlaufs, Militärhubschrauber mit Politikern oder anderen VIPs an Bord sind hier ein alltäglicher Anblick. Bereits knapp zwei Minuten vor der Kollision erkannte der Fluglotse die Situation, wies die Hubschrauber-Crew auf das querende Passagierflugzeug vom Typ CRJ-700 hin und erteilte die Erlaubnis zur „visual seperation“, was bedeutet, dass der Black Hawk auf Sicht fliegen und dem Passagierjet selbst ausweichen soll. Auch das ist üblich.
Fluglotse blieb passiv und nannte keinen Ausweichkurs
„Es war dunkel und mitten im Abendknoten, wo alle zwei Minuten ein Flugzeug landet. Eine unübersichtliche und komplexe Situation“, erklärt Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. „Von der Seite ist der Landescheinwerfer des Regionalflugzeugs unter Umständen nur schwer zu erkennen. Es ist gut möglich, dass die Hubschrauberbesatzung sie schlichtweg übersehen hat.“ Vielleicht hat die Crew auch gedacht, der Tower spreche von einem anderen, weiter entfernten Flugzeug. Der Pilot des landenden Passagierjets hat seinerseits nur eine sehr beschränkte Sicht auf alles, was sich von unten nähert, und dürfte kurz vor dem Aufsetzen auf die Landebahn geschaut haben.
Auf dem Radarschirm des Fluglotsen hingegen muss der Kollisionskurs klar erkennbar gewesen sein, trotzdem blieb er angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe vergleichsweise passiv und wies den Black Hawk zwar wiederholt auf den CRJ-Jet hin, gab ihm bis zuletzt aber keinen Ausweichkurs vor. „Warum hat der Tower ihm nicht gesagt, was er tun soll?“, fragte Trump auf seiner Plattform Truth Social und behauptet, das Unglück hätte vermutlich verhindert werden können.
„Es gilt herauszufinden, ob der Hubschrauber in der ihm zugewiesenen Höhe geflogen ist. Das wird die Unfalluntersuchung mit der Auswertung des Funkverkehrs und der Flugschreiber zeigen“, sagt Luftfahrtexperte Großbongardt. „Es sieht aber tatsächlich so aus, als könnte die Ursache in einem unglücklichen Zusammentreffen eines Fluglotsen an der Belastungsgrenze mit einem Helikopterpiloten liegen, der im entscheidenden Moment etwas übersehen hat.“
Die mögliche Mitverantwortung eines Fluglotsen für ein Unglück mit vielen Toten heizt in den USA nun eine schon länger laufende Debatte über den Zustand der Flugüberwachung an. Nachdem es in mehreren Fällen zu Beinahe-Kollisionen auf und über amerikanischen Flughäfen gekommen war, steht die Luftfahrtbehörde FAA schon länger unter Beschuss.
Kritiker werfen ihr vor, mit Sparbemühungen die Sicherheit von Fluggästen zu gefährden. Die „New York Times“ und andere Medien berichteten über Überstunden im Tower sowie Überforderung und Burn-outs von Fluglotsen. Zugleich machten rechtspopulistische Medien angeblich zu diverse Auswahlkriterien für einen Kompetenzverlust in Reihen der Fluglotsen verantwortlich.
Die US-Luftfahrtbehörde reagierte auf die Kritik mit einem Maßnahmenpaket, das unter anderem die Einführung eines technischen Überwachungssystems an amerikanischen Flughäfen bis Ende dieses Jahres vorsieht, mit dem die ebenfalls gehäuft auftretenden Kollisionen am Boden verhindert werden sollen. Zudem sollen zusätzliche Warnsysteme Fluglotsen optisch und akustisch auf drohende Konflikte anfliegender Maschinen aufmerksam machen.
Steffen Fründt ist Wirtschaftskorrespondent der WELT und berichtet über Themen aus Luftfahrt, Sportbranche und anderen Industrien.