SPD-Abgeordnete haben Tränen der Wut, Tränen des Entsetzens in den Augen. Sie eilen zur Sonderfraktionssitzung, nachdem der Asyl-Antrag von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit den Stimmen der AfD beschlossen wurde.
„Dieser Tag wird sich in die Geschichte des Landes eingraben“, ruft Fraktionschef Rolf Mützenich. „Empört“ seien alle seine 207 Abgeordneten, die sich wie eine Wand hinter ihrem Vorsitzenden aufgebaut haben. Er selbst sei empört „über die Leichtfertigkeit, über die Wahrheitswidrigkeit und über die Rechtsbeugung“ des Unions-Antrags zur Asylpolitik.
Merz habe den Europa-Kurs der CDU und des früheren Kanzlers Helmut Kohl verlassen. Besonders empörend sei, dass die Union ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag im Bundestag mit den Stimmen der AfD einen Antrag durchs Parlament gebracht habe.
„Kampf gegen rechts“ ist Identitätskern der SPD
„Empört“ – es ist das Gefühl der Sozialdemokraten an diesem Abend. Sie haben ihren Fraktionssaal nach Otto Wels benannt, dem Fraktionschef, der den Nazis im Parlament entgegenschleuderte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“
Der Kampf gegen rechts ist Identitätskern für Sozialdemokraten. Es ist das, worauf sie sich immer einigen, wenn sonst alles hakt. Vielleicht haben Merz und die Union die Wucht der Wut, die ihnen jetzt entgegengebracht wird, unterschätzt.
Mützenich hatte seine Abgeordneten eine knappe Viertelstunde hinter verschlossenen Türen eingeschworen. Kanzler Olaf Scholz (66) saß an seiner Seite, dann musste er los, zum Sozialverband, später ins TV-Studio von Maischberger. Der Wahlkampf geht weiter.
Und die Genossen führen ihn jetzt mit klirrender Wut auf Friedrich Merz. Die Warnung vor einer schwarz-blauen Koalition nach der Wahl wird jetzt an jedem Wahlkampfstand ertönen. Scholz nannte die Mehrheit mit AfD-Stimmen „ein schlechtes Zeichen. Für das Parlament. Und auch für unser Land“.
Bedeutet der Merz-Erfolg das Ende aller Koalitionspläne?
Dieser Mittwoch hat das Verhältnis zwischen Union und SPD nachhaltig beschädigt. „Wie soll man mit einer Merz-CDU nach der Wahl zusammenarbeiten?“, fragen die Ersten.
Merz hatte nach der Abstimmung über seinen rechtlich nicht bindenden Antrag SPD und Grüne aufgefordert, jetzt mit ihm über das Zustrom-Begrenzungsgesetz zu verhandeln. Das steht am Freitag auf der Tagesordnung und könnte das erste Gesetz werden, das mit AfD-Stimmen beschlossen wird.
Doch Verhandlungen darüber werden mehr als kompliziert. Als Merz „Rot-Grün“ zu Gesprächen drängte, rief SPD-Chef Lars Klingbeil (46) ins Plenum: „Sie glauben doch nicht, dass wir nach der Geschichte noch mit Ihnen zusammenarbeiten.“
In der SPD wird das Merz-Manöver als Erpressung gewertet. „Erst erklärt er uns, keinerlei Kompromisse beim Thema Migration machen zu wollen, dann stimmt er mit der AfD, jetzt will er mit uns reden. So geht das nicht“, sagt eine Genossin.
Ab jetzt läuft die Uhr. Am Freitag um 10.30 Uhr steht das Zustrom-Begrenzungsgesetz von der CDU/CSU auf der Tagesordnung. Es kann den Graben zur SPD noch mal vertiefen.
Die Genossen machten ihren Standpunkt am Mittwochabend noch einmal ganz klar, schossen sich in ihrer Wahlkampf-Kampagne klar auf Merz und die Brandmauer zur AfD ein. „Friedrich Merz ist kurz davor, der AfD von Weidel und Höcke die Tür zu öffnen“, schrieb der Parteivorstand auf X. „Unser Standpunkt ist klar: Mit Rechtsextremen macht man keine Politik. Das ist unanständig.“