„Das ist ein kannibalistischer Wettbewerb“

Die Umweltverbände Nabu, BUND und WWF melden sich zum Thema der umstrittenen Flussvertiefungen zurück – rechtzeitig vor den Wahlen zum Bundestag am 23. Februar und zur Hamburgischen Bürgerschaft am 2. März. Grundlage dafür ist eine neue Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP), die dessen Leiter Henning Vöpel und der Ökonom André Wolf am Montag in Hamburg präsentierten.

Eine der zentralen Aussagen der Studie: Die Kosten für die Ausbaggerung der Unterelbe sind nach der neunten, bislang letzten Elbvertiefung noch einmal deutlich gestiegen. Bund und Land Hamburg zahlten dafür im Jahr 2023 rund 232 Millionen Euro, im Jahr 2010 waren es nur rund 100 Millionen Euro. Ein Grund für die Steigerung ist, dass durch die Anfang 2022 weitgehend abgeschlossene Vertiefung und Verbreiterung der Elbfahrrinne mehr Sediment in den Fluss hineingespült wird. „Diese Investition würde man heute wohl so nicht mehr tätigen, sie stammt aus der alten Welt“, sagte Vöpel zur zurückliegenden Elbvertiefung, um die Hamburg und der Bund mit den Umweltverbänden mehr als 20 Jahre lang gerungen hatten.

Die Verbände Nabu und BUND, unterstützt vom WWF, hatten gegen die Elbvertiefung im zurückliegenden Jahrzehnt beim Bundesverwaltungsgericht geklagt, waren aber – wie andere Kläger auch – vor dem höchsten deutschen Verwaltungsgericht unterlegen. Allgemein anerkannt wird, auch von den Verbänden, der Nutzen des stellenweise verbreiterten Flusslaufs für die immer größeren Containerschiffe, die Hamburg anlaufen. Sie sind bis zu 400 Meter lang und 61 Meter breit. Bestätigt sehen sich die Verbände allerdings heutzutage in ihrer Kritik, dass die Vertiefung des Flusses wirtschaftlich sinnlos sei. „Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis zueinander“, sagte Sabine Sommer, die Landesvorsitzende des BUND Hamburg.

Das CEP rechnet vor, dass die Baggerkosten von Bund und Land von 2018, dem Jahr vor dem Beginn der Elbvertiefung, bis 2023 um 90 Millionen Euro gestiegen sind. Profitiert hätten von den größeren Wassertiefen 2023 aber lediglich 16 einlaufende und 65 auslaufende Großcontainerschiffe. „Das ist eine erhebliche Subventionierung privater Geschäfte“, sagte Vöpel mit Blick auch auf den Nutzen der beteiligten Reedereien. Ein wichtiger Effekt der zurückliegenden Elbvertiefung ist es, dass aus Hamburg auslaufende Schiffe einen von der Tide unabhängigen Tiefgang von 13,50 Metern haben können. Im Jahr 2023 sind große Schiffe mit mehr als 14.000 Containereinheiten (TEU) Kapazität mit einer durchschnittlichen „Tiefgangsreserve“ von 1,5 Metern aus Hamburg ausgelaufen und mit 2,75 Metern „Reserve“ eingelaufen.

Die Umweltverbände und das CEP erläuterten, dass sich die Umschlagentwicklung der beiden größten deutschen Seehäfen Hamburg und Bremerhaven – insbesondere im Containerverkehr – seit Jahren vom Wachstum der Weltwirtschaft und der deutschen Volkswirtschaft entkoppelt habe. „Mit jeder Krise seit 2008 – von der Welt-Finanzmarktkrise bis zur Pandemie – hat der Hamburger Hafen weiter an Marktanteilen verloren“, sagte Vöpel. „Das ist kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem.“ Erstarkende Häfen an der Nord- und Ostsee und im Mittelmeer und veränderte Warenströme des Welthandels trügen dazu bei, dass Hamburgs Hafen wohl keinen Boom der Containerverkehre mehr erleben werde, wie den 1990er und frühen 2000er-Jahren. Zudem werde bei den Containerterminals auch mangels Bedarf gerade in Nordeuropa immer weiter Kapazität aufgebaut, etwa im größten europäischen Hafen Rotterdam: „Der Wettbewerb in Deutschland und an der Nordrange ist kannibalistisch“, sagte Vöpel.

Tatsächlich stagniert die Umschlagentwicklung in Hamburg seit der Welt-Finanzmarktkrise im Jahr 2008. Im Jahr 2023 lagen der gesamte Güterumschlag des größten deutschen Seehafens und der Containerumschlag etwa auf dem Niveau des Jahres 2004. Hamburgs wichtigste Konkurrenzhäfen Rotterdam, Antwerpen sowie das polnische Danzig an der Ostsee haben seither erheblich dazugewonnen. Antwerpen berichtete am Montag als erster der großen Nordseehäfen seine Zahlen für 2024: Der Gesamtumschlag des zweitgrößten europäischen Hafens war im vergangenen Jahr um 2,3 Prozent gestiegen, der Containerumschlag um 8,1 Prozent, gemessen in Containereinheiten (TEU).

Die Umweltverbände leiten daraus die Erneuerung ihrer alten Forderungen ab. Die deutschen Seehäfen müssten eng kooperieren und den Tiefwasserhafen JadeWeserPort in Wilhelmshaven zum deutschen Zentrum für den interkontinentalen Containerverkehr machen. „Die letzte Elbvertiefung muss zurückgenommen werden, der deutsche Föderalismus muss in diesem Punkt überwunden werden“, sagte Beatrice Claus vom WWF. Die Flussbaggerungen an der Elbe sollten wieder auf das Niveau von vor der zurückliegenden Elbvertiefung reduziert werden. „Die Seitenarme der Elbe müssen von der in den vergangenen Jahren stark zugenommenen Verschlickung allerdings wieder befreit und ökologisch neu belebt werden.“ Die geplante Vertiefung von Unter- und Außenweser müsse gestoppt werden.

Unter anderem die frei werdenden Mittel aus einer reduzierten Baggerei sollten dafür genutzt werden, die deutschen Seehäfen als Drehkreuze für erneuerbare Energien zu ertüchtigen, fordern die Verbände. Gemeint ist damit regenerativ erzeugter Wasserstoff und dessen Ableitungen wie Ammoniak oder Methanol, zudem die Offshore-Windkraft. Der Bund müsse seine Unterstützung für die Seehäfen von derzeit jährlich rund 38 Millionen Euro deutlich erhöhen, dafür aber auch stärkere Mitspracherechte beim Ausbau der Häfen erhalten, sagte Malte Siegert, Vorsitzender des Nabu Hamburg: „Die Großcontainerschiffe nutzen den zusätzlich möglichen Tiefgang durch die Elbvertiefung heutzutage nur zu etwa zehn Prozent. Man kann nicht mit den Ideen des 20. Jahrhunderts Hafenpolitik für das 21. Jahrhundert betreiben.“

Offen bleibt allerdings weiterhin, wie die von den Verbänden seit vielen Jahren geforderte „Hafenkooperation“ funktionieren soll. Die Kunden der Reedereien verlangen den schnellsten und günstigsten Weg für ihre Ladung. Viel wird bei der Bewertung der Kosten davon abhängen, wie die Linienreedereien künftige ihre Transportketten organisieren. Die Reedereien Maersk und Hapag-Lloyd etwa – Nummer zwei und Nummer fünf der weltgrößten Linienreedereien – betreiben seit Februar gemeinsam ihre neue Allianz „Gemini Cooperation“. Die wichtigsten Drehscheiben für die kombinierten Verkehre der beiden Reedereien an der Nordsee sind Rotterdam, Antwerpen und Wilhelmshaven. Hapag-Lloyd wird in diesem Zusammenhang etwa zehn Prozent seiner bisherigen Ladung aus Hamburg abziehen. Zwischen Wilhelmshaven und dem chinesischen Ningbo bei Shanghai wiederum besteht seit Ende 2024 ein neuer Direktverkehr der chinesischen Reederei Kawa Shipping, der „China-Europe-Express“. Er benötigt zwischen Ostasien und Nordeuropa nur 29 anstelle der üblichen etwa 40 Tage Transitzeit.

Problematisch ist auch die Aussage der Umweltverbände, südeuropäische Häfen wie das griechische Piräus oder Koper in Slowenien würden immer mehr Seeverkehre aufnehmen, die traditionell über die Nord- und Ostseehäfen nach Europa gelangt sind. Vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges und der Angriffe jemenitischer Huthi-Rebellen im Roten Meer leiten die meisten Reedereien ihre Containerschiffe zwischen China und Europa seit Ende 2023 um Südafrika herum. Zuvor liefen diese Linien durch den Suezkanal und das Mittelmeer. Wie lange die neue Linienführung andauert – auch angesichts der aktuellen Waffenruhe zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas im Gaza-Krieg – ist völlig unklar.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als 30 Jahren über die maritime Wirtschaft, über Schifffahrt, Häfen und Schiffbau.

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