Neue Industrie-Ära? „Humanoide Roboter sind in einer Autofabrik völlig unbrauchbar“

Nach Ansicht der großen Tech-Giganten steht die Welt auf der Schwelle zum Roboter-Zeitalter. Nvidia-Chef Jensen Huang sprach auf der Consumer Electronics Show (CES) vom „ChatGPT-Moment“ der Robotik und sagte voraus, dass bald eine Milliarde menschenähnlicher Maschinen in den Fabriken arbeiten würden. Elon Musk führte Monate zuvor auf einer Art Tesla-Show seinen humanoiden „Optimus“ vor und erklärte die Technologie zum größten Produkt der Menschheit.

Zweifel an diesem Science-Fiction-Szenario äußert der Robotik-Experte Stefan Lampa. Der gebürtige Schwede ist seit drei Jahrzehnten in der Roboter-Industrie tätig, bekleidete leitende Positionen in der Robotik-Sparte von ABB, war Chef des Roboter-Herstellers Kuka und Kalmar und ist heute CEO des Münchner Unternehmens Proglove. Menschenähnliche Maschinen, sagt er, seien bloß Spielerei.

WELT: Elon Musk und Nvidia-Chef Jensen Huang sehen die Welt am Beginn einer Robotik-Ära. Sie teilen diese Vision nicht.

Stefan Lampa: Das ist richtig. Eine Welt voller humanoider Roboter würde uns nicht nur in sozialer Hinsicht vor große Probleme stellen. Es gibt auch technische Schwierigkeiten. Roboter sind perfekt darin, sich wiederholende, immer gleiche Arbeiten auszuführen. Doch wo flexibles Arbeiten oder Kreativität benötigt werden, werden Menschen noch viele Jahre lang die beste Lösung sein.

WELT: Nvidia will noch in der ersten Jahreshälfte die Plattform „Jetson Thor“ herausbringen, so etwas wie ein Android für Roboter. Humanoide Roboter sollen in unserem Alltag so selbstverständlich werden wie heute Handys.

Lampa: Das ist nicht neu. Die großen amerikanischen Technologiefirmen versuchen seit 20 Jahren vergeblich, in der Roboter-Industrie Fuß zu fassen. Auch ich habe in der Roboterentwicklung mit Google und Microsoft zusammengearbeitet. Die Tech-Firmen denken immer, es reiche, die Daten zu haben. Aber der schwierige Teil ist, diese mit einer mechatronischen Lösung zu verbinden. Das ist hyperkompliziert.

WELT: Elon Musk ließ vor einiger Zeit auf einer Tesla-Show menschenähnliche Roboter Getränke servieren. Für ihn scheint das machbar.

Lampa: Mit viel Geld kann man alles Mögliche machen. Man kann auch eine Rakete in den Himmel schicken und an derselben Stelle landen lassen. Doch wenn es darum geht, für einfache Arbeiten einen Roboter zu bauen, der nicht mehr als 50.000 oder 100.000 Euro kosten darf, dann wird es schwierig.

WELT: Musk sagt, ein persönlicher R2D2 würde nur 20.000 bis 30.000 Dollar kosten. Ist das realistisch?

Lampa: Allein eine mechanische Hand zu entwickeln, ist eine riesige Herausforderung. Ich habe daran jahrelang gearbeitet, auch andere Ingenieure rund um den Erdball. Bislang ist es keinem gelungen, eine vergleichbare Beweglichkeit und Sensitivität zu erreichen, wie ein Mensch sie von Natur aus hat. Wenn ein Roboter diese Fähigkeiten nicht hat, kann man ihn in vielen Bereichen einer Fabrikmontage nicht gebrauchen.

WELT: In München arbeiten Wissenschaftler seit Jahren daran, einem Roboter beizubringen, eine Türklinke zu drücken. Selbst banale Handgriffe scheinen für eine Maschine eine große Herausforderung darzustellen.

Lampa: Das ist so. Ich denke deshalb, dass sich humanoide Roboter eher für einfache Service-Aufgaben und Entertainment eignen. Sie können in der Hotellobby stehen und die Gäste begrüßen und die sagen: Supercool, ein Humanoide! Aber in einer professionellen Produktion, etwa bei einem Autobauer, sehe ich sie erstmal nicht.

WELT: Musk will seinen „Optimus“ noch in diesem Jahr in seinen Tesla-Werken einsetzen, sagt er.

Lampa: Es gibt ja schon lange Industrieroboter, der Autobau ist sehr weitgehend automatisiert. Bei Tesla arbeiten in der Montage Tausende von Robotern von Kuka…

WELT: …dem Augsburger Roboter-Hersteller, dessen CEO sie lange waren.

Lampa: Der deutsche Mittelstand ist mit solchen mechatronischen Lösungen sehr erfolgreich. Bei Kalmar, deren Präsident ich war, haben wir große Verladeroboter für Hochseecontainer gebaut, die sind großartig. Ich sehe bloß nicht, wo man im industriellen Kontext einen humanoiden Roboter sinnvoll einsetzen sollte. Die Konfiguration eines Menschen ist nicht ideal für einen Autobauer. Warum zwei Arme, warum zwei Beine? Das macht die Steuerung viel komplexer, ohne einen wirklichen Vorteil zu generieren. Es ist schlauer, einen Industrieroboter mithilfe von KI intelligenter und kollaborativer zu machen. Wenn er mobiler werden soll, kann man Räder dranschrauben. Humanoide Roboter sind eine Spielerei.

WELT: Das Produkt, das Sie nun verkaufen, wirkt im Vergleich zu Musks Visionen eher simpel. Eine Art Handschuh mit eingebautem Scanner.

Lampa: Tesla ist einer unserer größten Kunden. Unsere Handschuhe helfen, dass Menschen ihre Arbeit schneller, intelligenter und gesünder erledigen können. Der Handschuh ersetzt nicht nur den Scanner, wodurch der Arbeiter eine Hand mehr frei hat. Unser nächstes Modell ist wie ein Gefährte. Er zeigt dem Arbeiter, wo er ein Bauteil findet, warnt ihn vor Fehlern und hilft ihm, Arbeitsschritte richtig auszuführen.

WELT: Proglove wurde 2014 von vier Münchner Studenten gegründet. Acht Jahre später zahlte ein schwedischer Investor eine halbe Milliarde dafür. Was rechtfertigt diese Bewertung?

Lampa: Statt Roboter dem Menschen nachzubilden, verbessern wir menschliche Arbeitskraft mit technischer Hilfe. Unsere Kunden sehen die Effekte in ihrer Produktion jeden Tag. Arbeiter finden schneller Lösungen, die Produktion wird seltener oder kürzer unterbrochen. Andere Anbieter haben Exoskelette entwickelt, die Arbeiter bei körperlich belastender Arbeit unterstützen. Eine Mischung aus Mensch und Roboter – darin liegt die Zukunft.

WELT: Das klingt nach Cyborg.

Lampa: Es geht darum, dem arbeitenden Menschen zu helfen. Der demografische Wandel führt dazu, dass wir auch in der Fertigung bis zum Alter von 65 Jahren arbeiten müssen. Mit den derzeitigen Arbeitsweisen wird das in vielen Fällen schwierig. Wir brauchen Lösungen, die manuelle Tätigkeiten effizienter und weniger belastend machen. Das ist die größte industrielle Herausforderung unserer Zeit. Einen fantastischen humanoiden Roboter zu entwickeln, wird dieses Problem nicht lösen.

Steffen Fründt ist Wirtschaftskorrespondent der WELT und berichtet über Themen aus Luftfahrt, Sportbranche und anderen Industrien.

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