Das vergangene Jahr war das heißeste meines bisherigen Lebens. Das vergangene Jahr war das kälteste meines restlichen Lebens. Dieses Doppel gilt jetzt und heute und immer wieder im Januar, wahrscheinlich bis ans Ende meiner Tage.
Wenn ich daran denke, habe ich Angst. Wir säen Wind und ernten Sturm, Fluten, Feuer und Rauchschwaden, die den Himmel verdecken und unsere Lungen füllen. Endet in Europa der Sommer und die Waldbrände verglimmen in Spanien und Griechenland, brechen sie in Kalifornien und Australien los – die Welt brennt längst, nur noch nicht überall gleichzeitig. Die Erderwärmung ist nur die spürbarste Folge unter zahllosen: Arten sterben, Wasserspiegel steigen, Meere versauern und Seen verdampfen, Gletscher schmelzen, Städte versinken, Mikroplastik lagert in den Sedimentschichten unter unseren Füßen, in unseren Knochen und Gehirnen. Das fossile Zeitalter geht unter die Haut und auch sonst überall hin. Manchmal möchte ich weinen oder wenigstens morgens einfach liegen bleiben.
nennt sich dieses Gefühl, zu Deutsch Klimaangst oder Klimasorge. Es ist recht verbreitet in meiner Generation der Spätneunziger und allen Nachfolgenden. Laut Shell Jugendstudie sind 69 Prozent aller Jugendlichen stark besorgt über die Folgen des Klimawandels und 55 Prozent fühlen sich in Umweltfragen nicht ernst genommen. Es gibt für diese Emotionen also kein Ventil und auch keine positive Vision oder Vorstellung, in die sie geleitet werden könnten. Dachte ich. Bis ich Solarpunk entdeckte.
Solarpunk ist ein Subgenre der Science-Fiction – oder doch etwas anderes? Womöglich ist es auch eine Idee, eine Bewegung oder ein Ethos, definitiv etwas Multidisziplinäres, nicht nur Literatur, bildende Kunst, politische Theorie oder Gaming, sondern alles gleichzeitig. Und so blüht es seit einigen Jahren nicht nur in literarischen Kreisen auf, sondern auch an Universitäten und in Onlineforen, besonders auf Reddit und Tumblr.
Die Sonne als Genossin
Solarpunk sucht nach Bedeutung und Verwandtschaft inmitten unserer Krisen, die heute schlimmer sind als gestern und morgen schlimmer sein werden als heute; nach neuen Verständnissen und Infrastrukturen, die ein lebenswertes Sein ermöglichen. Die Geschichten, Computerspiele, Gedichte oder Manifeste handeln von möglichen und notwendigen Revolutionen, kleinen und großen, von Solidarität zwischen Mensch und Mensch, Tier oder Natur und immer von der Sonne, ihrer Energie, Politik und ihrer symbolischen Opposition zum fossilen Kapitalismus. „Die Sonne ist unsere Genossin“, fasst es die Philosophin Oxana Timofeeva in ihrem Buch zusammen. Solarpunk ist mal pragmatisch, mal utopisch, nicht immer postapokalyptisch oder auch nur futuristisch, positioniert sich aber stets gegen die Ausbeutung von Mensch und Planet. Und, womöglich am wichtigsten: Solarpunk will schön sein.
Das Genre gedeiht, derzeit noch besonders in kurzen Formaten, von Gedichten, Manifesten und Blogbeiträgen bis hin zu Kurzgeschichten und Games wie oder . Fragt man in der Buchhandlung nach Solarpunk, kriegt man am ehesten Becky Chambers‘ Novelle von 2021 empfohlen. Es ist das wohl bekannteste auf Deutsch verfügbare Solarpunk-Werk und wurde mit dem Hugo-Award, einem renommierten Preis für Science-Fiction, ausgezeichnet. Als idyllisches Büchlein ist repräsentativ für das Genre, das seine Ideen oft eher in Meditationen als in Actionszenen vermittelt. Es ist ausgemacht für alle, „die eine Auszeit brauchen“.
Chambers‘ spielt auf einem Mond namens Panga, einst schwer industrialisiert, bevor vor langer Zeit die Roboter, die dort Fabrikarbeit verrichteten, Bewusstsein entwickelten und sich in die Wälder zurückzogen. Panga wandte sich daraufhin geschlossen von seinem ausbeuterischen Wirtschaftsmodell ab – wohl eine sehr sanftmütige Umschreibung einer Arbeiterrevolution. Durch ebenjene Wälder streift nun auch die Hauptfigur Dex und versteht inmitten des wuchernden Grüns und durch die Begegnung mit einem der Roboter endlich, wie viele Perspektiven es neben der menschlichen gibt und wie lächerlich wichtig wir uns nehmen. Die Natur, sieht Dex ein, beginnt nicht erst dort, wo unsere Straßen, Städte oder monokulturellen Plantagen enden. Sie ist überall, umhüllt uns, wir sind Teil von ihr: Das Menschliche ist, „was im Dazwischen liegt, nicht andersrum“.