Am 16. Dezember stellte der Bundeskanzler die
Vertrauensfrage. „Bei dieser Wahl können dann die Bürgerinnen und Bürger den
politischen Kurs unseres Landes vorgeben“, sagte Olaf Scholz. Das Staatsschiff
aber befindet sich gerade an einem ungewissen Ort, ohne Sextant, in einer
Dunkelflaute, kein Stern in Sicht, der bei der Bestimmung des Kurses behilflich
wäre, kein Wind in den Segeln. Die Umfragen belegen, dass die Bürgerinnen und
Bürger weit davon entfernt sind, mehrheitlich einen politischen Kurs vorzugeben.
Sie sind nicht überfordert, sie wirken unentschlossen, unwirsch, auch
wankelmütig, welcher Partei sie ihre Stimme geben.
Der „politische Kurs“ also. Floskeln wie diese sind aus der
Politik nicht wegzudenken. Das Wort Floskel verdanken wir den Römern. Bei ihnen
hieß es und das hieß Blümchen. Wer zum Beispiel auf kritische Fragen
mit dem Floskel-Blümchen antwortet „wir wollen nach vorn schauen“, muss kaum
damit rechnen, danach gefragt zu werden, was denn da vorn zu sehen ist, wo „der
politische Kurs“ denn entlangführen soll.
Wie verhalten sich die Parteien in dieser Lage? Geben sie
einen Kurs vor? Versprechen sie Korrekturen? Wohin soll die Reise führen? In
Riesa versprach die AfD-Vorsitzende Alice Weidel: „alle Windräder niederreißen“
zu wollen, sie seien „Windmühlen der Schande“. Sie stellte sich mit diesem
Versprechen in verblüffende Nähe zu Don Quichotte, der Windmühlen für
feindliche Riesen hielt. Die AfD-Delegierten schmuggelten ihrer „Alice für
Deutschland“ eine SA-Parole als Mitgift in den Schlussapplaus beim Wahlparteitag.
Weidel forderte in Riesa die Wählerinnen und Wähler dazu auf, die Wahlurnen mit
Stimmen für die AfD „zu fluten“, was auch keine gute Idee ist, denn wenn sie
von der Flut davon getrieben würden, wären die Stimmen für die AfD futsch.
Am 16. Dezember sagte Bundeskanzler Scholz im Bundestag:
„Ich habe Vorschläge gemacht, wie wir unser Land auf Vordermann bringen.“ Seine
Mehrheit im Bundestag hat sie nicht angenommen, wäre Scholz mit Bertolt Brecht
zu antworten. Der Vordermann hat im Parlament auch nichts verloren. Das Bild
stammt aus einer militärischen Tradition: beim Antreten in Reih und Glied
mussten Soldaten auf Vordermann gebracht werden. Beim nächsten Großen
Zapfenstreich wird das wieder zu besichtigen sein.
Rolf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der SPD, hat den
Tag der Vertrauensfrage als einen „Tag der Erleichterung“ bezeichnet. Die Bürde
des Regierens ist der Sozialdemokratie zu schwer geworden? Das Kannawoniwasein!
In seiner Antwort auf die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers sagte Friedrich
Merz: „Wir werden das sogenannte Bürgergeld vom Kopf auf die Füße stellen.“
Eine feine Floskel, mit der das Geld eigene Füße (und keine Zinsfüße!) zum
Davon- oder vielleicht auch zum Zurücklaufen erhält.
In der gleichen Debatte sagte Bundeswirtschaftsminister
Habeck: „Während wir uns in Teilen Europas weitgehend mit uns selbst
beschäftigen, steht die Welt nicht still.“ Auf diese galaktische Floskel ließe
sich getrost antworten, dass das noch nie der Fall gewesen ist. Das Wort, daran
ist bei dieser Floskel immer zu erinnern, verdankt sich ebenfalls der
militärischen Rhetorik: „Stillgestanden!“ Und wird von Hauptfeldwebeln
gebrüllt. In der gleichen Debatte sagte Habeck: „Es ist auch nicht zu vermuten,
dass die Wirklichkeit sich irgendwie ändert.“ Das gehört zu den erstaunlichsten
Aussagen der jüngeren Zeit, worauf in metzgerischer Weisheit zu antworten wäre:
„Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“
Das Wahlprogramm des BSW beginnt mit den Worten: „Viele
Menschen in Deutschland leben heute mit Abstiegsängsten und Existenzsorgen. Sie
beunruhigt die Talfahrt unserer Industrie, der Mangel an Lehrern, Ärzten und
Pflegekräften, die fehlende Absicherung im Alter, der Kontrollverlust bei der
Migration und die wachsende Kriegsgefahr. Die hohen Preise und steigenden
Mieten stellen ihren bescheidenen Wohlstand infrage. Viele fühlen sich heute
unsicher im eigenen Land.“ Kurz vor der Vierschanzentournee ist der Alpinismus
ganz überraschend bei einer Kaderschmiede gelandet, die den Führerinnenkult
verinnerlicht hat. Alpinistisch geht’s nach unten, damit die Stimmen nach oben
gehen.
Bei einer Klausur der CDU in Hamburg schwärmte Friedrich
Merz kürzlich von einem Wahlergebnis der CDU „eher in der zweiten Hälfte (…)
als in der ersten Hälfte der Dreißiger“. Wähnt er sich etwa auf Zeitreise in
die Finsternis des vergangenen Jahrhunderts? Die „anstehenden Entscheidungen“
(wie lang darf ihre Schlange sein?) sollten sich nicht an der Demoskopie,
sondern an „unseren inneren Grundüberzeugungen“ ausrichten. Wodurch
unterscheiden sich die inneren Überzeugungen der Unionsparteien von ihren bis
dato geäußerten? Sind ihre Überzeugungen etwa auf Grund gegangen?
Beim Dreikönigstreffen der Freien Demokraten ging Christian Lindner in die Vollen: „Wir sind über Jahrzehnte erprobt in den Aufs und Abs
der Politik und öfters haben wir den Jahresanfang in der Defensive begonnen.“
Der Major der Reserve bläst zur Attacke: „Sprechen wir es offen aus, (…)
Ängste haben Deutschland in eine Abwärtsspirale geführt und aus dieser
Abwärtsspirale müssen wir uns nunmehr befreien.“ So klingt der Houdini der
liberalen Entfesselungskunst: „Der Auftrag von uns Freien Demokraten ist, jede
und jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft so stark zu machen, dass die
Menschen sich selbst aus diesen Ängsten befreien können durch neue Zuversicht.“
Sang Christian Lindner da gerade etwa die Internationale?
Das Fazit bedrückt. Die Prosa der Wahlkämpfenden gibt kaum
Auskunft über die tatsächliche Lage. Mit Floskeln ist kein Schlitten zu fahren.