Nur wenige Manager sind ihrem Unternehmen so lange verbunden wie Markus Haas. Seit 27 Jahren ist er dabei. Damit hat der Chef von Telefónica Deutschland den Ausbau von vier Mobilfunkgenerationen erlebt. Doch der 52-Jährige bleibt ungeduldig. Für die nächste Bundesregierung hat er eine ganze Reihe von Vorschlägen. Ganz oben auf der Liste: der digitale Personalausweis auf dem Handy.
WELT: Herr Haas, drei Viertel der Zehn- bis Zwölfjährigen haben bereits ein Smartphone. Sogar bei jüngeren Kindern ist es verbreitet. Wie früh ist eigentlich zu früh?
Markus Haas: Das ist eine individuelle Entscheidung. Viel wichtiger ist, dass sich die Eltern auch kümmern. Sie müssen Regeln aufstellen, was geht und was eben nicht geht. Alle gängigen Smartphones werden zum Beispiel mit Kinderschutzfunktionen ausgeliefert. Eltern sollten diese Funktionen nutzen.
WELT: Wie ist es bei Ihnen zu Hause?
Haas: Meine Töchter haben mit zehn Jahren ein Smartphone bekommen – mit einer festgelegten Bildschirmzeit. Die haben wir auch kontrolliert und geschaut, wofür sie verwendet wird. Zur Not muss man nachsteuern und auf jeden Fall ansprechbar bleiben. Was nicht geht, ist, Kindern einfach ein Handy zu geben und sie damit allein zu lassen. Man muss mit ihnen gemeinsam definieren, was in Ordnung ist und was nicht. Welche Bilder oder Informationen man teilen kann. Es muss klar sein, dass das Netz nichts vergisst. Je früher Kinder mit dem Smartphone anfangen, desto höher ist der Erziehungsauftrag der Eltern und der Bildungsauftrag in den Schulen. Aber wenn Kinder in ein zweistelliges Alter kommen, ist es heute schon fast schwierig, ohne Smartphone überhaupt noch den Kontakt zu Freunden zu halten.
WELT: Nutzen Sie selbst eigentlich noch den Twitter-Nachfolger X?
Haas: Nein. Ich bin Purist und nutze nur LinkedIn und WhatsApp.
WELT: Der X-Eigentümer Elon Musk ist zum engsten Berater von Donald Trump geworden. Wie bereiten Sie sich mit Ihrem Unternehmen auf den amerikanischen Präsidenten vor?
Haas: O2 Telefónica in Deutschland ist Teil der globalen Telefónica-Gruppe. Als internationales Kommunikationsunternehmen sind wir interessiert an einem Dialog mit der Politik zu den Themen, die uns betreffen. Das gilt auch für die USA.
WELT: Trump ist schon in seiner ersten Präsidentschaft auf harte Konfrontation mit China gegangen und hat auch von Deutschland gefordert, Komponenten des chinesischen Ausrüsters Huawei aus den Netzen zu nehmen.
Haas: Wir sind sehr früh mit unserem Kernnetz auf einen europäischen Hersteller gegangen. Fast 60 Prozent unserer Antennen sind von Herstellern, die nicht aus China kommen. Außerdem haben wir uns mit der Bundesregierung darauf verständigt, dass kritische Elemente der Netzsteuerung bis spätestens Ende 2029 mit nicht-chinesischen Netzausstattern zu betreiben sind. Wir machen damit unser gesamtes Antennen-Netz mit einem Schlag noch autarker.
WELT: Wird sich die Trump-Regierung damit zufriedengeben? Oder müssen Sie sich nicht auf ein extremes Szenario einstellen?
Haas: Ich kann mir eher vorstellen, dass es weitergehende Diskussionen gibt, wenn es um 6G geht, also die nächste Generation des Mobilfunks.
WELT: Wären denn auch Huawei-freie Netze denkbar?
Haas: Ich will da keine Prognose wagen. Grundsätzlich haben alle in Sachen Qualität und Innovationszyklen vom globalen Wettbewerb profitiert. Und die Anforderungen an die Netze steigen und werden komplexer. Deswegen sollten nicht pauschal einzelne Hersteller ausgeschlossen werden.
WELT: Nicht nur die USA, auch Deutschland bekommt eine neue Regierung. Haben Sie einen Wunschzettel?
Haas: Den gibt es. Und darauf steht ein Digitalministerium, das wirklich einen Unterschied machen könnte. Derzeit folgen die digitalen Zuständigkeiten keiner Logik, sondern eher dem Proporz einer Koalition in mehreren Ministerien. Außerdem würde ich mir wünschen, dass die neue Regierung innerhalb von sechs Monaten den digitalen Personalausweis auf dem Smartphone einführt. Die Lösungen dafür gibt es, wie andere Länder zeigen. Dann würde jeder Bürger spüren, dass etwas passiert und es vorangeht. Ein solcher Schritt würde viele Geschäftsmodelle ermöglichen und Bürokratie reduzieren. Ich glaube, damit würden wir eine gewisse Begeisterung für Digitalisierung wecken. Damit wir letzte weiße Flecken schließen können, muss Mobilfunk als überragendes öffentliches Interesse definiert werden. Außerdem bräuchten wir einen vereinfachten Datenschutz.
WELT: Der ist aber in der Europäischen Datenschutzgrundverordnung geregelt.
Haas: Aber wir sind in Deutschland gut darin, immer noch eine Schippe draufzulegen. Unbestimmte juristische Begriffe wie „anonymisiert“ werden in Deutschland besonders streng ausgelegt. Und 16 verschiedene Landesbehörden zum Thema machen es nicht einfacher. Wir nehmen uns damit viele Möglichkeiten. Rund 80 Prozent aller anfallenden Industriedaten in der EU werden heute nicht benutzt, weil zu unklar ist, was benutzt werden darf oder nicht. Das ist so kompliziert, dass viele Unternehmen gleich die Finger davon lassen.
WELT: Und wie ginge es besser?
Haas: Wir brauchen ein EU-weit gemeinsames und wirtschaftsfreundlicheres Verständnis dafür, was „personenbezogen“ und „anonym“ bedeutet. Die Nutzung personenbezogener Daten kann man streng handhaben, aber alles andere sollte man erlauben. Das würde die Lust an Datenerhebung, Datentransfer und Datenanalyse befeuern. Wir reden dann über Daten, die aus Maschinen rauskommen, die im Industrieumfeld anfallen. Das würde den Staat nichts kosten. Es gibt ja bereits entsprechende EU-Initiativen.
WELT: Im gerade abgelaufenen Jahr war Ihre Bescherung ja schon vor Weihnachten, als die Bundesnetzagentur angedeutet hat, beim nächsten Mal die Mobilfunkfrequenzen zu verlängern und nicht neu zu versteigern.
Haas: Das ist der richtige Schritt. Und wir werden im Gegenzug verpflichtet, eine weitgehende Flächendeckung mit schnellem mobilen Internet bis Ende 2029 zu schaffen. Das ist für uns ein sehr ambitioniertes und für Deutschland ein großartiges Ziel. Wir hoffen, dass das Vorhaben der Verlängerung im ersten Quartal des nächsten Jahres final bestätigt wird. In den vergangenen Jahren hat Deutschland im Mobilfunknetzausbau eine Aufholjagd nur mit großer Kraftanstrengung geschafft. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn wir in den 20 Jahren zuvor nicht so viel Geld für Frequenzversteigerungen ausgegeben hätten. Aber jetzt sind wir in einer guten Position und auf gutem Weg, auch in Europa die Nummer Eins bei 5G zu werden.
WELT: Bei der letzten Versteigerung wurde ein Teil der Frequenzen an Unternehmen für lokale Netze vergeben. Trauern Sie dem noch nach?
Haas: Ehrlich gesagt: ja. Denn das ist ein sehr wertvolles nationales Spektrum, das uns fehlt. Es gab bisher weniger als 500 Anträge für sehr kleinzellige Anwendungen dieser Campus-Netze. Mal wird ein Flughafengebiet damit abgedeckt, mal ein kleines Firmengelände. Aber der Rest der Fläche in Deutschland, und wir reden hier von rund 99,9 Prozent, wird für diese Frequenzen nicht genutzt. Das Ganze war ein Experiment, das Deutschland eingegangen ist und das damals von vielen Industrieunternehmen eingefordert wurde. Aber die Erfahrung zeigt, dass die Firmen wenig Interesse haben, selbst ihre Netze aufzubauen.
WELT: Und wie geht das nun weiter?
Haas: Das Digital- und Verkehrsministerium hat jüngst eine Umfrage gestartet, wie hoch die Nachfrage nach Campus-Netzen wirklich ist. Das müssen wir jetzt abwarten. Fakt ist: Es wäre sinnvoll, diese Frequenzen den Mobilfunknetzbetreibern zu geben, die damit kurzfristig mehr Kapazitäten und höhere Datengeschwindigkeiten bereitstellen könnten. Zudem können wir auf unseren Netzen den Firmen praktisch eine lokale Netzscheibe, einen eigenständigen, abgeteilten Netzbereich zur Verfügung stellen, über den sie dann mit garantierten Kapazitäten verfügen können. Man könnte auch über eine Art Opt-out-Modell nachdenken, bei der wir für Firmen tatsächlich lokal ein Netz auskoppeln.
WELT: In der Zwischenzeit könnten Sie ja die Versorgung in den Zügen verbessern. Da sieht es immer noch schlecht aus.
Haas: Sagen wir es mal so: Die Netze waren noch nie so gut wie heute. Und wir als O2 Telefónica haben zuletzt wieder den größten Sprung nach vorn gemacht, was die Netzqualität betrifft. Aber in der Bahn sind alle Netzbetreiber nicht gut genug. Wir kommen zum Beispiel in den Tunneln nicht so schnell voran, wie wir uns das gewünscht hätten.
WELT: Woran liegt das?
Haas: Für den Ausbau in einem Tunnel braucht man immer noch im Durchschnitt deutlich mehr als zwei Jahre, auch, weil dafür Fahrpläne geändert werden müssen. Es gibt einige Hundert Tunnel, die nicht ausreichend versorgt sind, dort kommt es dann zu Abbrüchen. Einige stehen sogar unter Denkmalschutz, da dauern die Abstimmungen noch viel länger. Das sind Herausforderungen, und wir arbeiten hier eng mit der Bahn zusammen. Ein weiteres Problem sind die Fensterscheiben der Züge, die wegen der Wärme- und Kälte-Isolierung so beschichtet sind, dass dort keine Funksignale durchdringen. Die Bahn bearbeitet diese Fenster nun mit Lasern, damit sie etwas durchlässiger werden.
WELT: Ihr Netz müsste schon bald sehr leer sein. Mehr als zehn Millionen Kunden von 1&1 ziehen zum Konkurrenten Vodafone um. Fühlen Sie sich schon einsam?
Haas: Ganz im Gegenteil. Uns ist es gelungen, in vergangenen Jahr viele neue Kunden zu gewinnen. Mit Lyca Mobile, Lebara und dem Ausbau unserer bestehenden Partnerschaften wie mit Freenet haben wir starken Zulauf. Außerdem gewinnen wir mehr und mehr Geschäftskunden. Wir gehen davon aus, den 1&1-Weggang komplett kompensieren zu können.
WELT: Immer mehr Menschen nutzen inzwischen Anwendungen, die auf künstliche Intelligenz zugreifen. Wird das die Netze (KI) an ihre Grenzen bringen?
Haas: Wir erwarten, dass ein Teil der KI-Anwendungen auf dem Smartphone erledigt wird. Die Rechenleistung erledigen dann Hybridprozessoren direkt auf dem Gerät. Das entlastet schon einmal die Netze. Und wir beobachten, dass die Videonutzung in unseren Netzen nicht mehr so stark wächst wie in der Vergangenheit. Hier scheint sich eine gewisse Sättigung einzustellen. In diese Lücke springen nun KI-Anwendungen wie ChatGPT oder Gemini. Das sind zwar im Moment noch kleine Anfragen, aber wir erkennen, dass etwas Größeres auf uns zukommt.
1998 kam Markus Haas zu Viag Interkom, einem Neustarter in der Telekom-Branche. Später wurde aus Viag Interkom O2 und dann Telefónica. Haas ist 52 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Töchter. Er lebt in München, wo er auch geboren wurde und Jura studierte. Seit 2017 ist Haas CEO der Telefónica Deutschland Holding. Außerdem ist Vizepräsident des Digitalverbandes Bitkom.
Thomas Heuzeroth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Verbraucher- und Technologiethemen, Unterhaltungselektronik und Telekommunikation.