Um das schwächelnde Wachstum in Großbritannien anzutreiben, setzt Premierminister Keir Starmer auf künstliche Intelligenz (KI). Die Technologie sei der „ultimative Treiber von Veränderung und Erneuerung“ und „die entscheidende Chance der Gegenwart“. Starmer steckt ambitionierte Ziele ab: Angesichts der Bedeutung und der Chancen durch KI sei es wichtig, dass Großbritannien zum „besten staatlichen Partner“ für KI-Unternehmen werde.
Zu den konkreten Plänen gehören ausgewiesene Wachstumszonen für KI-Investitionen, eine nationale Datensammlung, die Forschern Zugang zu gesicherten Quellen ermöglichen soll sowie die Förderung eines umfassenden Einsatzes von KI in der öffentlichen Verwaltung.
Dafür übernimmt die Regierung alle 50 Empfehlungen, die der Unternehmer und Venture-Capitalist Matt Clifford in seinem „AI Opportunities Action Plan“ ausgearbeitet hat.
„Großbritannien wird eine der großen KI-Supermächte werden“, versprach Starmer bei einer Rede am University College London (UCL) und verwies darauf, dass das Land in Europa heute bereits Spitzenreiter bei KI-Investitionen sei. „Wir werden Durchbrüche schaffen, wir werden Vermögen schaffen und wir werden dafür sorgen, dass KI jedem im Land nutzt.“
In technologischer Hinsicht startet die britische Insel von einer soliden Position. Gemessen an Indikatoren wie Investitionen oder Patente im KI-Bereich liegt das Land nach Einschätzung von Experten der Stanford University auf dem dritten Platz weltweit, hinter den USA und China.
Eine Vielzahl britischer Universitäten schafft es in naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen regelmäßig in die Spitzengruppe. Zahlreiche Unis unterstützten Firmengründungen, das Land gilt als Start-up-freundlich.
Mit DeepMind – eine KI, die bekannt wurde mit ersten Siegen von Computern gegen Champions in Strategiespielen wie Schach und Go sowie der Entschlüsselung von Proteinstrukturen – kann Großbritannien auf einen der frühen Erfolge in der Technologie verweisen.
Doch DeepMind macht auch deutlich, wie kompliziert es ist, mit den KI-Start-Ups im Silicon Valley mitzuhalten. 2010 von drei UCL-Wissenschaftlern gegründet, wurde das erfolgreiche Unternehmen fünf Jahre später von Google übernommen. Heute bildet es einen wichtigen Kern der KI-Aktivitäten des US-Konzerns. Immer wieder ringen die Verantwortlichen auch mit der Frage der Regulierung der schnell wachsenden Technologie.
Die konservative Vorgängerregierung hat einen strikteren Ansatz verfolgt als etwa die Vereinigten Staaten. US-Konzerne wie Apple und Meta haben daher einige ihrer KI-Angebote auf der Insel erst mit einer Verzögerung zu den USA gestartet.
Regulierung solle künftig eine weniger prominente Rolle spielen, erläuterte Starmer. „Wir werden KI testen und verstehen, bevor wir sie regulieren, um sicherzustellen, dass wir, wenn es so weit ist, angemessen und fundiert handeln.“
Ausweisung von „KI-Wachstumszonen“
Ein zentraler Aspekt der Initiative sind eine Reihe ausgewiesener „KI-Wachstumszonen“. Eine rasche Bearbeitung von Baugenehmigungen soll den zügigen Aufbau von Data Centres einschließlich der nötigen Energieanschlüsse möglich machen und so Investitionen von Unternehmen anziehen. Unterstützt werden sollen sie auch durch Top-Talente, sowohl durch Anwerbung aus dem Ausland als auch die Schwerpunkte bei der Ausbildung an den Universitäten des Landes.
Culham in Oxfordshire wurde für ein erstes dieser Zentren ausgewiesen. Dort sitzt auch die Atomenergiebehörde des Landes. Tech-Konzerne haben bereits Investitionen von 14 Milliarden Pfund (16,7 Milliarden Euro) in eine Reihe großer Data Centres und KI-Hubs zugesichert.
Die Bereitstellung von Supercomputern ist ein weiterer Pfeiler. Die Kapazität sogenannter Exascale-Maschinen, die Rechenkapazität und Geschwindigkeit für KI-Anwendungen liefern, soll bis 2030 um das Zwanzigfache ausgebaut werden. Ein Standort für diesen Supercomputer steht noch aus. Einen geplanten Exascale-Computer an der Universität Edinburgh, den die Vorgängerregierung in Aussicht gestellt hatte, war kürzlich mit dem Verweis auf fehlende Finanzierung gestrichen worden. Die neue Maschine soll nun speziell auf KI-Anwendungen ausgerichtet werden.
Zentrale Voraussetzung für die Nutzung von KI sind große Datenbestände, um die maschinelle Intelligenz zu füttern. Dafür soll eine „National Data Library“ in mindestens fünf Anwendungsbereichen hochwertige Datensätze bereitstellen, bei denen Urheberrecht, Datenschutz und ethische Fragen geklärt sind.
Ein wichtiger Bestandteil könnten die riesigen Datenmengen des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS zu Patienteninformationen sein, stellte Starmer in Aussicht. Dank der zentralen Organisation des Gesundheitswesens des Landes gelten die NHS-Daten als besonders wertvolle Quelle für medizinische und pharmazeutische Auswertungen.
Datenschützer warnen aber regelmäßig davor, dass dabei erhebliche Sicherungen eingebaut werden müssen, um die Anonymisierung der Informationen sicherzustellen. Auch Informationen von Institutionen wie der BBC, der British Library, der Nationalarchive und des Natural History Museum sind Kandidaten für die Datenbank.
Möglichst rasch soll KI im öffentlichen Sektor Einsatz finden, um Ärzte, Beamte oder Lehrer bei administrativen Aufgaben zu entlasten und mehr Zeit für den Kontakt mit Patienten, Bürgern oder Schülern zu schaffen. Starmer verwies auf weitere Möglichkeiten, etwa bei der Überwachung des baulichen Zustands von Straßen im Land oder bei der Unterstützung von Planung und Bestandsführung im Mittelstand.
Starmers Vorstoß erhielt reichlich Zuspruch aus der KI-Szene. „Der AI Opportunities Action Plan ist ein mutiger Ansatz, der dabei helfen kann, die Potenziale von KI bei der Lösung echter Probleme zu erschließen“, sagte Dario Amodei, Vorstandschef und Mitgründer des US-KI-Anbieters Anthropic. „Indem Infrastrukturinvestitionen mit strategischer Planung kombiniert werden, könnte Großbritannien zu den ersten und schnellsten Regierungen der Welt gehören, wenn es darum geht, wie Dienstleistungen für die Bürger erbracht werden.“
„Fortschritt und Erleuchtung“, kommentierte Marc Andreessen, Chef des Silicon-Valley-Risikokapitalgebers Andreessen Horowitz auf der Plattform X. Er sei hocherfreut zu sehen, dass die Regierung ihre Hebel nutze, um Großbritanniens führenden KI-Start-Ups international beste Chancen zu verschaffen, lobte Alex Kendall, Vorstandschef und Mitgründer von Wayve, einem Londoner Start-up, das generative KI für selbstfahrende Autos entwickelt.
„Unternehmen im Vereinigten Königreich sind dank einer starken Innovationskultur und risikobasierter Gesetzgebung in bester Position, die Chancen von KI zu erschließen“, sagte Zahra Bahrololoumi, Geschäftsführerin für Großbritannien und Irland bei Salesforce.
Doch gleichzeitig warnen viele Fachleute vor erheblichen Hindernissen. Bei dem Versuch, mit den USA bei KI-Anwendungen mitzuhalten, stellt sich beispielsweise die Frage der Finanzierung von Unternehmensgründungen. „Die Ambition, fruchtbaren Boden für einheimische KI-Firmen zu schaffen, ist lobenswert, aber das wird nicht einfach angesichts der Tatsache, dass für Unternehmer die strahlenden Lichter von New York locken, wenn sie am Kapitalmarkt Finanzierung suchen“, sagte Susannah Streeter, Analystin bei Hargreaves Lansdown.
Engpass bei Zugang zu Energie
Die Sicherung von Daten stelle eine erhebliche Herausforderung dar, warnen Gesundheitsexperten. So genüge es nicht, die NHS-Daten zu anonymisieren. Die Schutzmechanismen müssten regelmäßig auf ihre Wirksamkeit geprüft werden, außerdem sichergestellt werden, dass Nutzer der geplanten Datenbank die Regeln einhalten.
Einen Engpass stellt der Zugang zu Energie dar. Zähe Genehmigungsverfahren bremsen immer wieder den Ausbau der Energieinfrastruktur im Land. Data Centre von der Größenordnung wie angekündigt brauchen aber erhebliche Mengen Strom, um die gefragte Rechenkapazität liefern zu können.
Bei Supercomputern könnte der geplante gewaltige Ausbau rasch von der Realität eingeholt werden. Das Ziel von 100.000 GPU, Prozessoreinheiten für die Grafikverarbeitung, das der Clifford-Plan für 2030 gesteckt hat, hat Elon Musks xAI kürzlich in einem Datenzentrum für KI-Training in Memphis aufgebaut – und angekündigt, die Kapazität in den kommenden Jahren erneut verzehnfachen zu wollen.
Nach einem hoffnungsvollen Start 2024 stagnierte das Wirtschaftswachstum zuletzt. Vom jüngsten Ausverkauf an den Anleihemärkten wurde Großbritannien besonders getroffen, mit direkten Folgen für die staatlichen Finanzierungskosten. Der Bau großer Datenzentren, eine wichtige Voraussetzung für die KI-Initiative, dürfte jedoch Jahre in Anspruch nehmen. Die geplante staatliche Datenbank steht gerade einmal in Umrissen.
Doch Starmer gab sich zuversichtlich, was die Umsetzung und die positiven Effekte auf die Wirtschaft betrifft. Er glaube nicht, dass es fünf oder zehn Jahre dauern werde, bis sich die Initiative kräftig auf die Produktivität auswirke. „Ich bin absolut zuversichtlich, dass wir hier über einen sehr, sehr viel kürzeren Zeitrahmen sprechen.“