Tag 1 nach dem Politbeben von Wien – als der umstrittene FPÖ-Chef Herbert Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hat.
Die „Brandmauer“ der Mitte-Parteien zu den Rechtspopulisten: vor dem Fall. Gelingt es Kickl, die bislang regierende ÖVP (Christdemokraten) als Junior-Partner zu gewinnen, kann er zum ersten Rechtsaußen-Bundeskanzler der Nachkriegsgeschichte werden!
Unter dem Motto „Österreich ehrlich regieren“ lud Kickl kurzfristig zum Presse-Statement. Journalisten erfuhren gleich zu Beginn: Fragen werden nicht beantwortet.
Erst Abrechnung, dann Pathos
Die ersten Minuten nutzt Kickl zur Abrechnung mit den Regierenden der letzten Jahre, die aus seiner Sicht das Land „an die Wand gefahren“ hätten.
Ausgiebig redet Kickl (offenes Hemd, keine Krawatte) über sich selbst: Es gehe ihm nicht um einen angeblichen Lebenstraum, Kanzler werden zu wollen. Er habe sich für den Weg der „staatspolitischen Verantwortung“ entschieden, weil Österreich gerade mit Blick auf die prekäre Haushaltslage keine weitere Zeit für Neuwahlen zu verlieren habe.
Es brauche zuerst jetzt eine Feuerwehr für den „Schulden-Flächenbrand“, „nach dem Niedergang der letzten Jahre einen Wiederaufbau“. Er wolle dafür den „Schulterschluss mit dem Souverän, mit dem Volk.“
Die Tugenden seines Hobbys Bergsteigen, für das man in einer Seilschaft „Klarheit, Direktheit und Ehrlichkeit“ brauche, wolle er auf die Politik übertragen. „Und eine gewisse Härte gehört dann auch dazu“.
Im Ton gibt sich Kickl versöhnlich: Trotz mancher Verletzung der Vergangenheit sei seine Hand zur ÖVP ausgestreckt: „Man darf nicht nur in den Rückspiegel schauen, wenn man nach vorne kommen will.“
Ungarns Orbán ist Kickls Vorbild
Im Wahlkampf hatte der strammrechte Politiker aus Kärnten (diente dort bereits FPÖ-Urgestein Jörg Haider) stark polarisiert. So erklärte er Ungarns Regierungschef Viktor Orbán zu seinem Vorbild – ausdrücklich auch mit Blick auf dessen Nähe zu Kreml-Despot Putin, mit dessen Partei „Einiges Russland“ die FPÖ bereits 2016 eine Kooperation geschlossen hat. Entsprechend fordert die FPÖ die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland – und will die Ukraine-Hilfen stoppen.
Unvergessen auch, dass Kickl sich von seiner Partei als „Volkskanzler“ bewerben ließ – im vollen Bewusstsein, dass Hitler sich damit in den 30er-Jahren beschrieben hatte. Kalkül dahinter: auch Empörung bringt Aufmerksamkeit im Wahlkampf. Tatsächlich gewann Kickl die Nationalratswahl mit 28,8 Prozent der Stimmen vor der ÖVP (26,3 Prozent).
ÖVP hält sich „Plan B“ noch offen
Wie geht es weiter? Erwartet wird, dass sich die ÖVP binnen Stunden zu einem Zeitplan für mögliche Gespräche äußert.
Als zweite Option nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit Sozialdemokraten und Liberalen bleibt, dass die ÖVP am Ende doch auf Neuwahlen setzt. Das könnte den Weg für ein Polit-Comeback von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (38) ebnen. Allerdings sieht es nach Stand der Umfragen derzeit eher nach einer noch höheren Niederlage gegen die FPÖ aus.