Die Übergriffigkeit der staatlichen Amtsstube in Brüssel

In der Mythologie der alten Griechen war Kratos die Personifizierung der Macht. In die deutsche (und andere) Sprachen ist Kratos als Nachsilbe eingegangen. Beispiele dafür sind Autokratie und ihr Gegenteil, die Demokratie. Heute hat in der öffentlichen Debatte eine besondere Form der Macht Hochkonjunktur: die Bürokratie.

Gemeint ist damit die Macht der staatlichen Amtsstuben über die Bürger. Doch die Bewohner dieser Stuben können in einer Demokratie keine Autokraten sein. Sie üben Macht nur im Auftrag aus, der ihnen von demokratisch gewählten Volksvertretern über Gesetze erteilt wird. Wird die „Bürokratie“ zum Problem für Wirtschaft und Gesellschaft, liegt es folglich an der Gesetzgebung der Volksvertreter.

Im liberalen Rechtsstaat der Nachkriegszeit war noch die Idee lebendig, dass die Gesetzgebung den Rahmen bestimmen sollte, in dem sich Bürger und Wirtschaft frei bewegen können. Dabei sollte das Prinzip gelten, dass die Freiheit des einen nur dort endet, wo sie die Freiheit des anderen einschränkt.

Mit der Zeit ist diese Idee jedoch verblasst. Zunehmend empfanden es die Volksvertreter als ihre Aufgabe, Wirtschaft und Gesellschaft nach den Vorstellungen zu gestalten, die ihnen Interessengruppen, denen sie ihr Mandat verdanken, auf den Weg gegeben haben. Dass sich besondere Interessen besser organisieren lassen als das allgemeine Interesse – und damit den liberalen Rechtsstaat – ist seit Mancur Olson ein in der Wirtschaftswissenschaft fest verankertes Gesetz.

Folglich sollte es einen auch nicht wundern, dass immer mehr Bürger die Macht der staatlichen Amtstuben als übergriffig empfinden, exekutieren diese Amtsstuben doch die Vorstellungen der in der Politik verankerten Interessengruppen, die Vorteile für ihre Mitglieder auch auf Kosten des Gemeinwohls wollen.

Nahtloses Pendeln zwischen Volksvertretung und Interessengruppen

Wohl keine Partei hat dies besser begriffen als die Grünen, deren Personal zwischen Volksvertretung und Interessengruppen („NGOs“) nahtlos pendelt. Und wohl keine staatliche Amtsstube hat die ihr delegierte Macht umfassender genutzt als die der Europäischen Union. Aufgrund des dort bestehenden demokratischen Defizits ist die EU-Bürokratie der autonomen Macht wohl am nächsten.

Mit der Datenschutz-Grundverordnung, dem EU-Lieferkettengesetz, der EU-Taxonomie-Verordnung für den Finanzsektor, dem „Green Deal“ oder der Richtlinie über die Sorgfaltspflichten der Unternehmen (CSDDD), um nur einige zu nennen, schwingt sich die EU zum Kratos auf, zur Personifizierung der Macht über die Bürger.

Der Ausbau der staatlichen Verwaltung und des staatsnahen Sozialbereichs auf EU und nationaler Ebene hat seit 1995 in diesem Sektor zu einem EU-weiten Beschäftigungszuwachs um 33 Prozent geführt. Da die Produktivität dort um ein Viertel niedriger ist als in der gesamten Wirtschaft, führt allein der Ausbau dieses Bereichs zu einem gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsverlust. Hinzu kommen die negativen Effekte der dort tätigen Bürokraten auf die Produktivität im privaten Sektor. Die Folge davon sind der Verlust von Unternehmergeist und Wirtschaftsdynamik.

Kratos hat den Gott Prometheus an den Felsen schmieden lassen. Der Held Herakles hat ihn wieder befreit. Heute braucht es die Befreiung von der Bürokratie. Das Symbol dafür ist die Kettensäge des argentinischen Präsidenten Javier Milei. Wenn wir bei der Gesetzgebung nicht „mehr Milei wagen“ (Christian Lindner), bleiben wir die Untertanen der Bürokratie. Und wenn die deutschen Wähler demnächst nicht mehr FDP wagen, wird uns Bundeskanzler Friedrich Merz kaum befreien.

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute.