Ärger um Londons Legende

Köstlichkeiten aus Datteln hat der Feinkost-Anbieter Qinwan aus Qatar im Angebot. Ummantelt mit dunkler Schokolade und mit Rosenblättern bestreut, gibt es die getrockneten Früchte, gefüllt mit Kardamom, Pistazien, Kokoscreme oder der mediterranen Süßigkeit Halva. Qinwans Online-Shop verschickt in alle Welt.

Alternativ lassen sich die Leckereien in London erwerben. In der großen „Schokoladenhalle“ im Erdgeschoss des Nobel-Kaufhaus Harrods ist der Anbieter aus Qatar mit einer großen Theke vertreten. Für 140 Pfund (170 Euro) geht das Kilo Dattel-Konfekt über den Tresen. Noch edler sind die Süßigkeiten in einer hölzernen Geschenkbox verpackt: Umgerechnet 709 Euro kosten rund drei Dutzend gefüllte Früchte.

In Harrods opulenter Schokoladenabteilung, reich verziert im Art-Deco-Stil, sind zahlreiche große Namen der Branche vertreten: Läderach und Neuhaus, Pierre Marcolini und Ladurée, der Londoner Chocolatier William Curley neben Patchi, einer Marke mit einem halben Jahrhundert Tradition aus dem Libanon. Das bekannte Kaufhaus im Stadtteil Knightsbridge strahlt in diesen Wochen besonders: Über und über ist die neobarocke Fassade mit weihnachtlicher Beleuchtung geschmückt. Doch im Innern der britischen Institution, deren Wurzeln 200 Jahre zurückreichen, rumort es.

Für die umsatzträchtigen Tage um Weihnachten haben Angestellte einen Streik angekündigt. Am kommenden Samstag und Sonntag und am 26. Dezember treten Reinigungskräfte, Verkaufspersonal und Angestellte in den verschiedenen Restaurants im Haus, die in der unabhängigen Gewerkschaft United Voices of the World (UVW) organisiert sind, in den Ausstand.

Neben einer Gehaltserhöhung fordern sie unter anderem ein Weihnachtsgeld von 500 Pfund (etwas mehr als 600 Euro). Nach Angaben der Gewerkschaft bekommen viele Angestellte bisher stattdessen einen Einkaufsgutschein über 50 Pfund, der im Haus eingelöst werden kann – angesichts von Auswahl und Preisen nicht einfach.

Fallen soll außerdem die Verpflichtung für Reinigungskräfte, an Feiertagen zu arbeiten, sowie die Gepflogenheit, dass viele in Teilzeitverhältnissen neun Tage ohne Pause eingeteilt werden.

Ein Inbegriff von „Britishness“

Harrods ist mit einer Verkaufsfläche von 90.000 Quadratmetern in über 330 Abteilungen das größte Warenhaus Europas – und eines der bekanntesten weltweit. „Omnia Omnibus Ubique“ lautet das Motto, lateinisch für „alles für alle, überall“.

15 Millionen Besucher flanieren Jahr für Jahr zwischen den Auslagen, in der Weihnachtszeit sind es oft 300.000 am Tag. Seit 1849 residiert das von Charles Henry Harrod gegründete Ladengeschäft an der heutigen Adresse und ist in 175 Jahren zu einem Inbegriff von „Britishness“ geworden.

London-Besucher haben es regelmäßig auf ihrer Route, in der Weihnachtszeit sind vor allem die aufwendig geschmückten Schaufenster auch Einheimischen einen Blick wert. In diesem Jahr hat der italienische Kaschmir-Spezialist Loro Piana sie als „Werkstatt der Wunder“ gestaltet, die die Arbeitsprozesse der Textilherstellung zeigt.

„Als eines der führenden Luxus-Kaufhäuser weltweit sollte Harrods Standards setzen für Beschäftigte im Einzelhandel und im Gastgewerbe“, sagte Alice Howick, die in einem der Restaurants im Haus bedient, dem „Guardian“. „Stattdessen verdienen wir den Mindestlohn und einfache Leistungen wie eine Essenszulage werden uns verwehrt.“

Das Harrods-Management betonte, es tausche sich regelmäßig über Mitarbeiter-Foren mit den Angestellten aus. UVW sei jedoch keine anerkannte Gewerkschaft, daher verhandle man nicht direkt mit ihnen.

Das Einstiegsgehalt für die unteren Gehaltsgruppen hat der Konzern im laufenden Jahr um zehn Prozent auf 13,15 Pfund angehoben. Das liegt deutlich über dem geltenden Mindestlohn von 11,44 Pfund. Ein existenzsicherndes Gehalt liegt in der britischen Hauptstadt nach Berechnungen der Stadtverwaltung aktuell allerdings bei 13,85 Pfund.

Schwere Vorwürfe im Rahmen einer BBC-Dokumentation

Mit den Auseinandersetzungen um die Löhne der Beschäftigten geht für Harrods ein Jahr zu Ende, in dem das Kaufhaus in Großbritannien vor allem wegen seines früheren Eigentümers Mohamed Al Fayed Schlagzeilen machte. Dem ägyptischen Milliardär, von 1985 bis 2010 Eigentümer und Verwaltungsratschef von Harrods, werden Dutzende Fälle von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch von Beschäftigten, auch Minderjährigen, vorgeworfen.

Mehr als 20 Frauen haben in einer Dokumentation der BBC im September Vorwürfe erhoben. Als „Monster“ bezeichnete eine der Anklägerinnen den im vergangenen Jahr 94-jährig verstorbenen Geschäftsmann, der jahrelang versucht hatte zu beweisen, dass sein Sohn Dodi und seine Partnerin Prinzessin Diana ermordet worden seien, als sie nach einem Autounfall in Paris 1997 ums Leben kamen.

In den Blick gerückt ist durch die Vorwürfe gegen Al Fayed auch die Unternehmenskultur des Konzerns, der neben dem zentralen Londoner Standort auch einen exklusiven Club in Shanghai, mehrere Shops in Flughäfen und eine Reihe Beauty-Salons unterhält.

Anwälte für die Opfer verweisen auf eine kollektive Unternehmensverantwortung, auf die Frage, wer im Management von den Vorwürfen wusste und bei der Vertuschung geholfen habe. Al Fayed wurden seit den 1990er-Jahren mehrmals sexuelle Übergriffe gegenüber Angestellten vorgeworfen. Viele der mehr als 70 Betroffenen, die sich inzwischen bei der BBC gemeldet haben, betonten, sie hätten sich erst nach seinem Tod sicher gefühlt, die Vorwürfe zu erheben.

„Es tut mir fürchterlich leid, was mit Al Fayed passiert ist“, sagt Michael Ward, seit 2005 Geschäftsführer von Harrods auf Anfrage der BBC. „Schlichtweg erschüttert“, zeigte sich der Staatsfonds von Qatar, dem Al Fayed den Kaufhauskonzern 2010 für 1,5 Milliarden Pfund verkauft hat. „Das Harrods von heute ist eine ganz andere Organisation als jene, die von 1985 bis 2010 Fayed gehörte und von ihm kontrolliert wurde“, hieß es in einer Mitteilung der Qatar Investment Authority (QIA).

Umsatz von einer Milliarde Pfund

Schon im vergangenen Jahr sei angesichts neuer Missbrauchs-Vorwürfe durch Fayed ein System aufgesetzt worden, um Forderungen rasch und unkompliziert zu begleichen. In über 250 Fällen habe Harrods inzwischen laut der BBC Opfern eine finanzielle Kompensation gezahlt.

An der Anziehungskraft des Kaufhauses für Besucher dürften die Vorwürfe nichts ändern. Um den Abgesang auf das Konzept Warenhaus muss sich Harrods keine Sorgen machen, das Handelskonzept spielt in einer ganz eigenen Liga.

Im Geschäftsjahr 2023/24, das Anfang Februar abgelaufen ist, hat Harrods eine Milliarde Pfund umgesetzt, ein Plus von 8,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Vorsteuergewinn schrumpfte zwar um 60 Millionen Pfund auf 111,5 Millionen Pfund. Dahinter steckte jedoch ein Einmaleffekt im Zusammenhang mit der Absicherung von Pensionsverpflichtungen. Die Eigentümer gönnten sich trotz dieses Rückgangs eine konstante Dividende von 180 Millionen Pfund.

Italienische Designer-Handtaschen, französische Haute Couture, Schweizer Uhren und vieles mehr locken auch weiter Reiche und Schöne aus aller Welt an die Brompton Road. 2020 sei ein Viertel der Umsätze auf chinesische Kunden entfallen, vor der Pandemie sei sogar die Hälfte aller Handelsumsätze, die Besucher aus dem Nahen und Mittleren Osten im Land getätigt haben, auf das Luxus-Emporium entfallen, so Geschäftsführer Wood. Derzeit sorgt der günstige Dollarkurs für reichlich Besucher aus den USA.

Auch in den kommenden Tagen müssen sie keine Sorge haben, vor verschlossenen Türen zu stehen. Die Streikdrohung betreffe nur rund zehn Prozent des Personals in den betroffenen Abteilungen, teilte das Harrods-Management mit. „Für die Weihnachtstage haben wir Notfallpläne, die sicherstellen, dass unser Service durch diese geplante Aktion nicht beeinträchtigt wird.“

Claudia Wanner schreibt für WELT vor allem über die britische Wirtschaft.