Offener Widerstand gegen Rentenreform – Jetzt wankt das wichtigste Projekt des Kanzlers

Ein halbes Jahr ist es her, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) gemeinsam das Paket zur Stabilisierung der gesetzlichen Rente präsentierten. Beschlossen ist die Reform bisher nicht. Mehr und mehr zeichnet sich ab, dass an dem Rentenpaket das Ampel-Bündnis am Ende sogar zerbrechen könnte.

Denn die vor allem von den Sozialdemokraten geforderten Maßnahmen stoßen in der FDP-Fraktion zunehmend auf Kritik. Hinter vorgehaltener Hand gab es diese von Abgeordneten schon länger. Jetzt gibt es deutlichen Widerstand.

„Die von der SPD forcierte Rentenpolitik geht in die komplett falsche Richtung“, sagt FDP-Finanzpolitiker Max Mordhorst WELT. Einer Stabilisierung der Renten auf dem angestrebten Niveau könne die FDP nicht zustimmen.

„Wir wollen nicht dafür verantwortlich sein, dass die Rentenbeiträge und damit die Arbeitskosten in den nächsten Jahren noch stärker steigen als ohnehin schon. Gerade die junge Generation würde bei einer Umsetzung des Rentenpakets II draufzahlen“, sagt Mordhorst, der selbst erst 28 Jahre alt ist. Für ihn steht fest: „Die Zeit fauler Kompromisse in der Ampel ist vorbei.“

Noch ist das eine Einzelstimme. Längst nicht alle Liberalen wollen bislang so weit gehen. Doch bei vielen ist die Bereitschaft gering, dem Herzensprojekt der SPD und ihres Kanzlers zum Erfolg zu verhelfen. Sie möchten sich im nächsten Wahlkampf in den Fußgängerzonen und auf den Marktplätzen des Landes nicht für hohe Beitragssteigerungen rechtfertigen müssen.

Kaum ein innenpolitisches Thema ist dagegen der SPD aktuell so wichtig wie die Rente. Schon vor der Bundestagswahl 2021 plakatierte die Partei Olaf Scholz großflächig mit dem Slogan „Jetzt stabile Renten wählen – Scholz packt das an“. Das Versprechen des „sicheren Rentenniveaus“ einkassieren zu müssen, wäre für die Sozialdemokraten, die überproportional von der Generation 50+ gewählt werden, ein Debakel.

Widerstand gegen das Rentenpaket

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erwähnte nach den schlechten Wahlergebnissen bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntagabend denn auch explizit das Rentenpaket, das von der FDP blockiert werde. „Da spreche ich, glaube ich, für viele in der SPD, wenn ich sage: Der Geduldsfaden wird dünner“, fügte Kühnert hinzu.

Eigentlich sollte zumindest die erste Lesung des Gesetzes noch vor der Sommerpause über die Bühne gehen. Daraus wurde nichts. Nun ist der erste Schritt im parlamentarischen Verfahren frühestens Ende September möglich. Erst danach geht der Entwurf offiziell zur Beratung in die Ausschüsse.

Bei den Liberalen ist man sich bewusst, dass viele Bürger weiteren wochenlangen Streitereien überdrüssig sind. In der Fraktionsspitze weiß man um den Widerstand gegen das Rentenpaket in den eigenen Reihen, will aber einen offen ausgetragenen Konflikt vermeiden.

„Es gibt noch einigen Gesprächsbedarf, bevor das Rentenpaket verabschiedet werden kann“, sagt Fraktionsvize Lukas Köhler, der unter anderem für den Bereich Arbeit und Soziales zuständig ist. Das sei aber zu Beginn der parlamentarischen Beratungen völlig normal.

Doch auch er setzt klare Leitplanken für die Verhandlungen: „Für die FDP-Fraktion ist entscheidend, dass das Rentensystem finanzierbar bleibt und die junge Generation auch langfristig nicht durch immer weiter steigende Beitragssätze oder Zuschüsse aus Steuermitteln überlastet wird“, sagt Köhler.

Laut Gesetzentwurf wird durch die geplante Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent der Beitrag bis 2035 von aktuell 18,6 Prozent nicht nur auf 21,2 Prozent steigen, sondern auf 22,3 Prozent steigen. Die jährlichen Rentenausgaben lägen dann gut 30 Milliarden Euro höher als ohne Reform – bis 2045 sogar knapp 50 Milliarden Euro.

Stabilisierung des Rentenniveaus

Die Liberalen können sich bei ihrer Skepsis auf Ökonomen berufen. „Mit dieser Politik werden die ganz Jungen sehr stark belastet“, stellte Ifo-Forscher Joachim Ragnitz unlängst fest. Zwar profitierten auch die Jungen im Alter vom garantierten Rentenniveau. Doch da sie über ihre Erwerbsphase hinweg im Gegenzug deutlich mehr an Beiträgen zahlen müssten, ergebe sich unter dem Strich ein finanzieller Verlust. „Im Ergebnis zählen alle Kohorten, die jünger als 26 Jahre sind, zu den Verlierern der Rentenreform“, sagte Ragnitz.

Bei den Sozialdemokraten hält man von dieser Argumentation wenig. „Generationengerecht bedeutet, dass sich auch die junge Generation auf eine sichere Rente verlassen kann. Genau das schaffen wir mit dem Rentenpaket“, sagt Martin Rosemann, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD.

„Ohne das Rentenpaket müssten jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer höhere Beiträge zahlen, immer länger arbeiten und hätten am Ende niedrige Renten.“ Die Reform sichere das Rentenniveau langfristig. „Das ist Politik für die arbeitenden Familien, die auf eine gute, sichere und stabile Rente zählen können“, sagt Rosemann.

Wie schon SPD-Generalsekretär Kühnert drängt auch der Sozialpolitiker auf eine rasche Einigung: „Eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes haben Bundeskanzler Scholz, Vizekanzler Habeck und Finanzminister Lindner vor der Sommerpause vereinbart“, sagt Rosemann. „Und das werden wir jetzt nach Ende der sitzungsfreien Zeit auch tun.“

Auch bei den Grünen drängt man auf eine Lösung. „Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist absolut notwendig und auch richtig“, sagt Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. Er verweist zudem auf das von den Liberalen gewünschte Generationenkapital, das durch die Anlage in Wertpapieren zu einer Beitragsentlastung ab Ende der 2030er-Jahre beitragen soll. Es ist Teil des Rentenpakets. Davon seien die Grünen zwar nie ein Anhänger gewesen, „aber wir sind bereit, das mitzutragen“, sagt er.

Knackpunkt für die Ampel-Regierung

Es ist davon auszugehen, dass das Rentenpaket letztlich zusammen mit den Maßnahmen im Rahmen der Wachstumsinitiative der Bundesregierung verhandelt wird. Dazu gehören zusätzliche Arbeitsanreize im Alter und die Förderung von Teilzeitarbeit, genauso wie Steuererleichterungen.

Die einen Punkte sind der einen Partei wichtiger, andere der anderen. Eine Entscheidung zwischen den Koalitionären wird bis November erwartet.

Es ist absehbar, dass der Ton zwischen den Koalitionären bis dahin rauer wird. Schon jetzt sind einige genervt. „Es ist ermüdend, dass einzelne Personen aus der FDP immer wieder geeinte Kompromisse infrage stellen, um auf sich aufmerksam zu machen“, sagt Markus Kurth, Berichterstatter für Rentenpolitik der Grünen, zu den Äußerungen des FDP-Finanzpolitikers Mordhorst.

Natürlich werde es wie üblich, während des parlamentarischen Verfahrens auch am Rentenpaket II noch Änderungen geben. „Und das haben wir auch vor“, sagt Kurth. Aber Grundlage dafür bleibe die Einigungen zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zum Generationenkapital auf Regierungsebene.

Auch aus seiner Sicht dient das Rentenpaket II gerade der jungen Generation: „Mit der Stabilisierung des Rentenniveaus garantieren wir endlich auch Menschen, die jetzt jung sind, eine vernünftige Rente auf dem heutigen Niveau“, sagt Kurth. Man könne von den jungen Menschen nicht erwarten, dass sie Beiträge zahlen, wenn sie ein deutlich niedrigeres Rentenniveau bekommen als diejenigen, deren Renten sie bezahlen.

Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen. Den zugehörigen Newsletter können Sie hier abonnieren. 2023 und 2024 arbeitete er für einige Monate in den USA.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik. Hier lesen Sie weitere seiner Artikel.