EU-Spitzendiplomaten reisen zum Amtsantritt nach Kyjiw

Die neuen außenpolitischen Spitzenvertreter der EU sind wenige Stunden nach ihrem Amtsantritt zu einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw eingetroffen. EU-Ratspräsident António Costa und Chefdiplomatin Kaja Kallas wollen dort Präsident Wolodymyr Selenskyj treffen. Beide sprachen zum Auftakt über die Bedeutung anhaltender Unterstützung für die Ukraine.

„Wir sind gekommen, um eine klare Botschaft zu senden: Wir stehen hinter der Ukraine und setzen unsere Unterstützung für die Ukraine uneingeschränkt fort“, sagte Costa, früherer Premierminister von Portugal. Dazu gehöre humanitäre, finanzielle, militärische und diplomatische Hilfe. Ein Thema der Gespräche werde neben der aktuellen Lage auch die gemeinsame europäische Zukunft mit der geplanten Integration der Ukraine in die EU sein.

Costa hatte um Mitternacht offiziell das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates, des Gremiums der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten, übernommen. Dieses war zuvor fünf Jahre von Charles Michel ausgeübt worden. Die frühere estnische Regierungschefin Kallas übernahm das Amt als EU-Außenbeauftragte von Josep Borrell. Beide Positionen sind infolge der Europawahl im Juni neu vergeben worden.

Kallas für Nato-Mitgliedschaft der Ukraine

Kallas sagte, für die Ukraine sei es entscheidend, dass Europa zeige, dass es an ihrer Seite stehe. Die Situation an der Front sei „sehr, sehr ernst“. Sie sprach in diesem Zuge über die Möglichkeit, dass die USA nach dem
Amtsantritt des designierten Präsidenten Donald Trump ihre Militärhilfe zurückfahren könnte und warnte vor den möglichen Folgen. 

Wenn man den Eindruck erwecke, dass Russland die Gebiete behalten dürfe, die es besetzt habe, dann werde das nicht nur Russland, sondern auch dessen Verbündete China, Nordkorea und Iran stärken, fuhr Kallas fort. „Wenn Amerika sich Sorgen wegen China macht, sollte es sich auch Sorgen wegen Russland machen“, sagte sie in Anspielung darauf, dass in den USA China als größte Sicherheitsgefahr gesehen wird.

Kallas erinnerte zudem daran, dass Russland schon in den Jahren vor dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 Vereinbarungen für Waffenruhen nicht eingehalten hatte. „Natürlich will jeder Frieden und Ruhe und keine fliegenden Bomben“, sagte die Chefdiplomatin. „Aber wir müssen die Ukraine so unterstützen, dass sie eine starke Position hat.“ Je stärker das Land an der Front sei, desto stärker sei es am Verhandlungstisch. „Das halte ich für sehr, sehr wichtig“, sagte Kallas. Die Kosten für die Hilfe für die Ukraine seien deutlich geringer als die, die ein Sieg Russlands mit sich bringen würde.

Als stärkste mögliche Sicherheitsgarantie für die Ukraine nach einem Waffenstillstand nannte Kallas eine Nato-Mitgliedschaft. „Wenn die Ukraine entscheidet, irgendwo eine Grenze zu ziehen, stellt sich die Frage, wie wir den Frieden sichern können, damit Putin nicht weiter vordringt und keine zusätzlichen Maßnahmen ergreift“, sagte sie. Die Nato-Mitgliedschaft müsse definitiv diskutiert werden. Andere klare Optionen sehe sie nicht.

Selenskyj forderte Nato zum schnellen Handeln auf

Selenskyj hatte kurz zuvor deutlich gemacht, dass die Ukraine einem Waffenstillstand mit Russland zustimmen könnte, wenn die Nato ihren Schutz auf die unbesetzten Teile des Landes ausdehnt. Im Falle eines Waffenstillstands brauche sein Land Garantien, „dass Putin nicht wiederkommt“, sagte Selenskyj in einem Interview des britischen TV-Senders Sky News. „Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, sollten wir das Territorium unter den Schutzschirm nehmen, das wir unter Kontrolle haben.“ Er forderte dazu auf, dies schnell zu tun: „Und dann kann die Ukraine die anderen Gebiete diplomatisch zurückerlangen.“

Begleitet wurden Costa und Kallas bei ihrem Kyjiw-Besuch auch von der neuen EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos. Sie soll in den kommenden Jahren für die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und den anderen Beitrittskandidatenländern zuständig sein.